Achtung, Kevin: Hier kommt Karen!

Kevin der Woche

Wir alle kennen sie, die oft unbedarften Namensgeber dieser Kolumne, die manchmal ein bisschen Probleme mit dem Nachdenken haben. Hier bekommen sie verbal die digitale Plakette des Alltags-Kevinismus verliehen, analog zur „Goldenen Himbeere“ Hollywoods, dem Anti-Oscar für cineastische Minderleister.

Doch es droht ernstzunehmende Konkurrenz. Dort, wo Namen als Diagnosen gelten, wo die so dringend benötigte cerebrale Sauerstoffversorgung ohnehin stark eingeschränkt ist, wird die Luft noch dünner: Karen ist da und sie hyperventiliert jetzt schon.

Aber wer ist Karen und wo kommt sie her? Nun, Karen ist ursprünglich US-Amerikanerin. Sie ist sehr von sich und ihrer scheinbar privilegierten gesellschaftlichen Stellung überzeugt. In ihrer aufgeblähten Selbstbezogenheit hält sie sich für berechtigt, immer und überall ihren Willen zu bekommen. Sie ist jederzeit bereit, bei der kleinsten scheinbaren Einschränkung ihres offensichtlich unbegründeten Dominanzanspruches lauthals eine Szene zu machen. Sie trägt die Maske immer noch unter der Nase. Sie will wegen irgendeiner Lappalie den Vorgesetzten sprechen oder ruft gar gleich die Polizei.

Eigenes und übergriffiges Fehlverhalten kann sie nicht erkennen, Schuld an den selbstproduzierten Ego-Eklats haben stets die anderen. Karen will ganz viel von dem, was anderen aus ihrer Sicht niemals zusteht: Respekt.

Wie sich schon mit nur ein wenig Küchenpsychologie erahnen lässt, ist Karen ziemlich dünnhäutig. In den sozialen Medien gibt reichlich höchst amüsante Beispiele dafür, wie schnell und nachhaltig Karen kreischend ausflippt. Handyvideos unter Hashtags wie #karensgonewild, #karensgobrrr oder #thekarenshub bieten stundenlang Unterhaltung mit reichlich Fremdschämpotenzial: Karen, wie sie bei McDonald’s wegen zu langer Wartezeit einen Heulkrampf bekommt. Karen, wie sie nach Geschäftsschluss nicht mehr einkaufen kann und deshalb die Glastür rammt und ableckt. Oder eben Corona-Karen, wie sie sich weigert, eine Maske zu tragen und deshalb wie eine Vierjährige schreit und tobt, Verschwörungstheorien ausstoßend.

Es gibt Stimmen, die hinter der Karen-Stereotypie tiefsitzende Misogynie vermuten. Fairerweise muss dazu gesagt werden, dass zumindest in Deutschland für lange Zeit Kevin ganz allein das schwere Kreuz des Eingebildeten, aber Ungebildeten tragen musste. Nun kommt Karen, nimmt ihm ein wenig von der Last und fügt ihre eklatante Selbstbild/Fremdbild-Inkongruenz hinzu. Das gibt Anlass zur Hoffnung auf ein wenig Gleichberechtigung: Karen kommt, und zwar unaufhaltsam.

TEXT: Frank A. Dudley