Kaufen Frauen wirklich anders?

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Gerade aktuell ist es üblich sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob es so etwas wie Gender-Marketing, bzw. Gender-Sales benötigt: Ist das Kaufverhalten der Kunden tatsächlich vom Geschlecht abhängig?
Richten wir den Blick weg von potenziellen Emotionen, Meinungen und Bauchgefühl, hin zu einer rein wissenschaftlichen Perspektive, so werden wir sehen, dass das Kaufverhalten von ganz anderen Faktoren abhängt. Ein kleiner verhaltensökonomischer Rundgang durch den Kaufentscheid.

Die Genderdiskussion ist aktuell wieder aufgeheizt – neben dem Benennen der weiblichen Form in Schrift, wird nun auch der Ruf nach geschlechtsgerechter Behandlung im Bereich Marketing und Verkauf lauter. Doch ist das tatsächlich gerechtfertigt? Kaufen Männer und Frauen wirklich unterschiedlich und benötigen somit unterschiedliche Ansprachen oder vielleicht sogar einen anderen Prozess?

Im Kopf des Kunden

Natürlich gibt es Produkte, die mehr von Männern und welche, die mehr von Frauen gekauft werden. Gehen wir mal von Bohrmaschinen und Damenhygieneartikeln aus – die Klassiker. Die gesellschaftliche Frage, die gestellt wird, ob es notwendig ist, eine Bohrmaschine so darzustellen, dass mehr Frauen kaufen.

Die Verhaltensökonomie sagt nein, denn im Kopf der Kunden geht etwas ganz Geschlechtsunspezifisches ab. Dafür muss man die Maschinen nicht rosa färben.

Beim Kaufprozess scheint es eine andere Variable zu geben, die für den großen Unterschied im Verkaufserfolg sorgt. Dazu hilft ein Blick in den psychologischen Kaufentscheid.

Das Gehirn des Kunden ist kein Geheimnis mehr. Auch wenn manche Verkaufsprozesse etwas anderes vermuten lassen, so hat die Verhaltensökonomie große Fortschritte gemacht.

Kunden kaufen weniger rational, als die aufgesetzten Unternehmens-Prozesse das vermuten lassen. Sie treffen oftmals Entscheidungen auf Basis von Urteilsverzerrungen (»Dieser Kaffee ist besser als der andere, weil George Clooney das gesagt hat«) und Stressoren, wie: »Nur noch 2 Stück verfügbar«.

Das hat erstmal nichts mit dem Geschlecht zu tun, sondern funktioniert übergreifend.

Es scheinen also offenbar gänzlich andere Variablen zu geben, die beim Verkauf den Unterschied machen. Genau genommen sind es zwei: Das produktabhängige Verhalten und das jeweilige dominante Kaufmotiv des Kunden.

Schauen wir uns das genauer an:

Bildquelle: K. Stapel, 2021 nach der Studie von Bauer und Koth

Die Abbildung zeigt die zwei Perspektiven, die wir beim Aufbau eines Salesprozesses berücksichtigen sollten.
Zum einen, die etwas übergeordnete Perspektive: Die Kundensegmente nach der GRIPS-Typologie. Zum anderen die Prozessperspektive.

Die Segmentperspektive sagt aus, dass Kunden sich produktabhängig verhalten: Chips kaufen Kunden anders als ein Auto. Wir finden hier vollkommen unterschiedliche Entscheidungswege vor.

Die Prozessperspektive verspricht den Kaufentscheid, der eher vom Kunden und seinem Charakter ausgeht. Wie er beispielsweise auf ein spezielles Image anspricht, welches sein dominantes Kaufmotiv ist, welches Interesse er hat (wie groß ist beispielsweise das Interesse des Mannes an einem Damenhygieneartikel), wie bewertet der Kunde das Produkt, das Unternehmen und wie ist sein tatsächliches Wissen darüber. Und natürlich sein Kaufverhalten.

Wie kaufen Kunden denn nun?

In erster Linie in Abhängigkeit vom Produkt. Das ist ein übergeordnetes Verhalten. Dieses produktabhängige Verhalten wurde weltweit beobachtet und auf fünf unterschiedliche Cluster heruntergebrochen, die »Kundensegmente« genannt werden. Die einzelnen Segmente zeichnet ein spezielles Such- und Kaufverhalten aus, was im Folgenden kurz erläutert wird:

Bildquelle: K. Stapel, 2021

Kunden verhalten sich wie der »Schnäppchenjäger«, wenn sie beispielsweise Produkte wie Autos oder Waschmaschinen kaufen. Dabei geht es nicht um das günstigste Angebot, sondern um das Beste. Dazu wird verglichen, recherchiert und sich genauestens informiert. Hier braucht es Details, hochwertigen Content und viel Informationen für den Kunden. Der Kunde sieht den Kauf als Battle mit dem Unternehmen, welches er für sich entscheiden will.

Geht es um Produkte, wie Handytarife oder Versicherungen verhalten Kunden sich wie der »Verlustaversive«. Der hat immer Angst über den Tisch gezogen zu werden und hätte gerne jemanden wie den Schnäppchenjäger an der Hand, der ihm sagt, was er kaufen soll. Der Kunde ist eher ängstlich und braucht viel Trust und Führung. Gibt man heute 30% Rabatt, war man in seinen Augen gestern 30% zu teuer und ist nicht mehr vertrauenswürdig.

Bei Produkten, die den »Preisbereiten« in den Kunden hervorlocken stehen roter Teppich, Features, neue Produkte und Service im Vordergrund. Der Kunde kauft direkt beim Hersteller und liebt die Extrameile. Der Kunde möchte kaufen, um sich etwas zu gönnen. Da spielt der Preis erstmal keine Rolle.

Bei Produkten, wie Wasch- und Lebensmittel, verhalten Kunden sich wie der »Gewohnheitskäufer«: Einmal begeistert, bleibt es dabei. Dieses Segment trifft in Wahrheit keinen Kaufentscheid mehr, sondern ist treu ergeben. Der Kunde darf betüddelt werden und freut sich über Informationen, wie über den Einzug des neuen Bürohundes mehr, als über Informationen zu neuen Features.

Beim »Gleichgültigen« ist der Name Programm. Schnell, einfach und ohne viel Extras. Für den Kauf von Büroklammern braucht es keine 10 besten Tipps. Dieser Kunde weiß was er will und braucht keine emotionale Ansprache. Nur den Kaufbutton. Hier tut sich ein Unternehmen gut daran nur in die Akquise zu investieren, denn dieser Kunde ist weder loyal noch sonderlich am Unternehmen interessiert.

Das individuelle Verhalten

Das individuelle Kaufverhalten bzw. die Kaufentscheide hängen neben dem übergeordneten Segmentverhalten vom jeweiligen dominanten Kaufmotiv ab. Jeder Kunde hat ein – maximal zwei davon. Sprich: Egal welches Segment für den größten Umsatz im speziellen Produktverkauf verantwortlich ist – jedes Kaufmotiv kann möglich sein.

Insgesamt sprechen wir über sieben Motive, auf die alles reduziert werden kann:

Bildquelle: K. Stapel, 2021

Nehmen wir an ein Ehepaar möchte sich ein Auto kaufen. Abgesehen von dem Verhalten des »Schnäppchenjägers«, wie vergleichen und informieren, ist für den letztendlichen Kaufentscheid das dominante Kaufmotiv entscheidend.
Während der eine Ehepartner das Thema Wirtschaftlichkeit für sich entscheidend findet, mag der andere Partner vielleicht Bequemlichkeit und entscheidet sich eher, wenn der Verkäufer das Auto angemeldet bis zur Haustür liefert. Und ist dieser dann noch bereit für diesen Service mehr Geld auszugeben, so ist der Ehekrach vorprogrammiert, wenn der Andere Wirtschaftlichkeit im Fokus hat.

Gute Verkaufsprozesse schützen die Ehe und sprechen alle Kaufmotive an.

Die Kaufmotive haben auch hier nichts mit dem Geschlecht zu tun, sondern sind eine generelle Präferenz im jeweiligen Charakter. Man kann nicht sagen, dass Männer mehr zu Wirtschaftlichkeit und Technik/ Neues neigen und Frauen hingegen eher zu Sicherheit und Prestige beispielsweise. Das ist vollkommen situativ und produktabhängig.

Wie Unternehmen das für Ihre Verkaufs- und Marketingstrategien nutzen können

Unternehmen tun sich einen Gefallen, wenn sie zunächst herausfinden, welches Segment für jedes ihrer Produkte für den größten Umsatz verantwortlich ist.
Dann wird der gesamte Verkaufsprozess darauf hin optimiert.

Bildquelle: K. Stapel, 2021

Je nachdem um welches Segment es sich handelt, halten sich Kunden an unterschiedlichen Orten auf. Eine Waschmaschine wird man auf einem Vergleichsportal sehen wollen, eine Designer-Handtasche besser nicht bei Amazon, sondern direkt im Herstellershop.
Auch reagieren Kunden unterschiedlich. Für Büroklammern reichen SEA -Kampagnen aus. Da ist SEO völlig irrelevant. Für Autos hingegen ist SEO kriegsentscheidend. Das eine Segment braucht ewig lange Verkaufsseiten und Texte, ein anderes hingegen braucht es kurz, knackig und ohne Umwege.

Um herauszufinden, welches Segment für das jeweilige Produkt verantwortlich ist, braucht es ein genaues Datenprofiling, sowie eine verhaltensökonomische Einschätzung. Das wird sich um ein Vielfaches bezahlt machen, da die Verkäufe und andere Konversionen durch die bessere Kauferfahrung und den enormen Wettbewerbsvorteil sich deutlich und planbar erhöhen. Dabei liegt der wahre Erfolg nicht nur im fokussierten Optimieren auf das eine Segment, sondern vielmehr im konsequenten Ausschließen aller anderen.

Um den Erfolg durch Segmentierung zu erreichen, sollten ergo zwei Schritte beherzigt werden:

  • Nur da sein, wo der Kunde ist
  • Dem Kunden das Erlebnis geben, was er wirklich braucht

Das weitere was Unternehmen machen sollten, ist das Berücksichtigen sämtlicher Kaufmotive.
Im klassischen Offline-Tagesgeschäft ist das relativ einfach, da man den Kunden im 1zu1 Gespräch fragen kann.
Online wird es schwieriger, wenn man nicht mit aufwendigem Targeting und dynamischen Seiten arbeitet (was sich vermutlich auch nicht bezahlt machen wird). Da empfiehlt es sich konsequent zu jedem Produkt eine Sammlung der Argumente gemäß den Kaufmotiven anzulegen und für den Kunden abzubilden. So fühlt sich der Kunde in seinem Motiv abgeholt und die anderen empfindet er als Bonus.

  • Jedes Produkt mit Argumenten für sämtliche Kaufmotive belegen

Fazit

Gender- Marketing und -Sales mag sich politisches korrekt anfühlen, hat aber nach aktueller Datenlage keinerlei Relevanz und unterliegt eher einer Urteilsverzerrung.
Unternehmen sind gut aufgestellt, wenn sie sich mit produktabhängigem Verhalten in Kombination mit den Kaufmotiven vertraut machen und ihre Prozesse darauf ausrichten.
Somit haben wir eine relevante und planbare Steigerung der Umsätze und anderen Konversionen, sowie eine Abdeckung sämtlicher Bedürfnisse der Kunden – unabhängig welches Geschlecht der Kunde hat.

[1] F. Bauer, H. Koth: Der unvernünftige Kunde, Redline Verlag (2014)
[2] Search Engine Adverstising
[3] Search Engine Optimization

TEXT: Katharina Stapel